Veränderungsprozesse

Zu den Aufgaben einer Führungskraft gehört es zu gestalten. Eingespielte Abläufe wollen nicht nur verwaltet werden. Es geht darum, das Unternehmen effizienter, kundenfreundlicher, marktkompatibler etc. zu machen. Dafür sind Veränderungsprozesse unvermeidlich.

Die Mehrheit der Menschheit mag Veränderung nicht bzw. steht ihr zumindest skeptisch gegenüber. Zu oft wird über die Belegschaft „drübergefahren“ wenn Neuerungen eingeführt werden sollen. Will man dies als Führungskraft nicht tun, dann stellt sich die Frage: Wie geht man es am besten an? Wie initiiert und steuert man einen Veränderungsprozess?  

Die Mentorin berichtet:

Nicht lange nachdem ich ins neue Unternehmen gekommen bin, fallen mir ein paar Eigentümlichkeiten auf. Neben der Gehaltsstatistik, die mich wegen der Gehaltsunterschiede von beträchtlichem Ausmaß ins Grübeln bringt, und die mich später noch beschäftigen wird, wundere ich mich über die Aufteilung der Büroräumlichkeiten.

In der Firma herrscht generell Platzknappheit. In den Büros drängen sich die Schreibtische der Mitarbeiter:innen eng aneinander. Halbtagskräfte teilen sich einen Schreibtisch und können nicht überschneidend arbeiten. Es ist eine Konzession an den denkmalgeschützten Altbau und die feine Adresse in der Innenstadt, die die Firma nicht aufgeben möchte.

Umso erstaunlicher, dass eine Mitarbeiterin, eine der dienstältesten, weit abseits ihrer Abteilung in einem Büro sitzt, das räumlich größer ist als meines. Es muss etwas „historisch Gewachsenes“ sein, das für die Abläufe im Unternehmen jedoch kontraproduktiv ist. Auch andere Abteilungen sind räumlich auseinandergerissen bzw. fern jener Nachbarabteilungen situiert, mit denen sie eigentlich zusammenarbeiten sollten.

Ein neues Raumkonzept

Angesichts dieser, wie ich meine, suboptimalen Situation will ich die Raumaufteilung umgestalten, und zwar so, dass bessere Voraussetzungen für die Zusammenarbeit innerhalb der Belegschaft bzw. zwischen den Abteilungen geschaffen werden. Nach einigen Recherchen und ein paar Gesprächen mit Abteilungsleiter:innen entwerfe ich eine Skizze für ein neues Raumkonzept.

Widerstand von allen Seiten

Zuerst präsentiere ich meinen Vorstandskollegen die neuen Pläne. Ich erwarte ein Abnicken und eventuell sogar eine Anerkennung dafür, dass ich mich dieser Sache, die ja augenscheinlich einer Verbesserung bedurfte, angenommen habe. Doch weit gefehlt. Warum sie in die Planerstellung nicht eingebunden wurden, wollen sie misstrauischen Blickes wissen. Ich sage, nun, ich habe einen Entwurf erstellt, über den wir jetzt reden könnten, und bin ein wenig irritiert: Ich habe mir die Arbeit angetan, die auch ihnen zugutekommt. Warum meckern sie? Sie finden tatsächlich keine sachlichen Argumente, aber ihr Unbehagen ist ihnen anzusehen. Ich hätte sie wohl von meinem Vorhaben unterrichten sollen, bevor ich es in Angriff nahm, denke ich nun.

Dann drücke ich den Leiter:innen der betroffenen Abteilungen die Pläne in die Hand und stelle Unterstützung für die “Übersiedlung” in Aussicht. Es kann ja keine große Sache sein, die Lage eines Schreibtisches ein wenig zu verändern oder in einen anderen Raum zu wechseln, denke ich – zumal es auf der Hand liegt, dass die Lösung, die ich erarbeitet habe, objektiv betrachtet gut ist. 

Wie sich bald herausstellt, war ich auch da zu optimistisch, denn alsbald steht der Betriebsrat in der Tür. Er beschwert sich, weil er nicht um Rat gefragt wurde und in die Entscheidung nicht eingebunden war. In der Belegschaft rumore es, lässt er mich wissen. Meine Frage, warum dies so sei, beantwortet er eher vage. Es sei niemand gefragt worden, man fühle sich übergangen, und Veränderungen seien immer eine Herausforderung.

Ach tatsächlich? will ich höhnisch fragen, beiße mir jedoch auf die Zunge und schüttle nur leise den Kopf.
 
Ich selbst habe in anderen Unternehmen immer wieder interne Übersiedlungen mitgemacht und kann mich nicht erinnern, dass sie auch nur das geringste Aufheben verursacht hatten. Ich denke an das Raumkonzept einer großen Bank, mit der wir in Geschäftsbeziehung stehen, wo die Mitarbeiter:innen nichts als einen kleinen, fahrbaren Spind zur Verfügung haben, mit dem sie sich täglich einen freien Arbeitsplatz im Großraumbüro suchen müssen. Von Privatsphäre oder gar Gewöhnung an Schreibtisch und Sitznachbarn ist dort keine Rede, von Mitsprache in Bezug auf die Raumaufteilung schon gar nicht. Sollen unsere Leute doch froh sein, dass sie nicht unter solchen Bedingungen arbeiten müssen, denke ich und nehme mir vor, es demnächst, wenn weiter Beschwerde geführt wird, auch laut zu sagen.

Man fügt sich schließlich, doch der Übersiedlungstag bringt die schwelenden Vorbehalte der Belegschaft deutlich zum Vorschein. Die Leute stehen den Arbeitern der Übersiedlungsfirma im Weg herum, verweigern jegliche Hilfestellung, beschweren sich über alles und jedes. In den darauffolgenden Wochen höre ich von den Leiter:innen der von der Übersiedlung betroffenen Abteilungen ständig, dass die Mitarbeiter:innen dieses und jenes nicht erledigen könnten, weil sie noch mit der Eingewöhnung beschäftigt wären.

Sie treiben es so lange, bis mir der Geduldsfaden reißt. Es scheint, als habe man nur auf diesen Ordnungsruf gewartet, denn nachdem er erfolgt ist, kehrt mit einem Schlag wieder Ruhe ein. Zaghaft räumen einzelne Mitarbeiter:innen nun sogar ein, dass ihnen die jetzige Situation besser gefällt als jene, die zuvor bestanden hat.

Was ist die Moral aus dieser Geschichte? frage ich mich nun ein wenig ratlos.

Schließlich komme ich zum Schluss, dass es derer wohl mehrere sind.

Sind meine Mitarbeiter:innen “zu sensibel”?

Tatsache ist – und das spricht ja für das Unternehmen – dass die Mitarbeiter:innen es offenbar gewohnt sind, ihre Bedürfnisse berücksichtigt zu sehen.

Allgemein unbestritten ist, dass der persönliche Arbeitsplatz für Menschen eine große emotionale Bedeutung hat. Das wissen nicht nur Arbeitspsycholog:innen, das spüren wir alle auch selber. Unternehmen nutzen dieses Wissen – in beide Richtungen. Die einen, um ein möglichst angenehmes Arbeitsklima zu schaffen, die anderen, um die Entstehung jedweder Bindungen zu untergraben und die Auswechselbarkeit der menschlichen Arbeitskraft auch auf räumlicher Ebene tagtäglich anschaulich zu machen. Vielleicht hatten meine Mitarbeiter:innen letzteres als vage Befürchtung im Hinterkopf, als sie sich zum Widerstand formierten. Viele Menschen haben ja tatsächlich schon die Erfahrung gemacht, dass Maßnahmen, die als „Veränderung“ daherkommen, in Wirklichkeit eine Verschlechterung für sie bedeuteten. Ich hätte das vor meiner Rochade bedenken und berücksichtigen sollen – zumal ich ja auch noch neu in der Firma war und tatsächlich noch niemand so genau wissen konnte, was von mir zu erwarten war.

Nicht nur das Ergebnis zählt, sondern auch der Prozess!

Es ist diesmal um nichts Weltbewegendes gegangen, doch wenn ich wieder einmal eine Veränderung initiiere, weiß ich, dass ich die geplanten Maßnahmen im Vorfeld mit allen Betroffenen bzw. deren Vertretungen absprechen werde. Ein sensibel gesteuerter Prozess, zudem die möglichst frühzeitige Einbindung der Beteiligten gehört, trägt ganz wesentlich zum Ergebnis bei, und ist nicht selten sogar die wichtigste Voraussetzung zum Gelingen eines Projekts.

Tipp der Mentorin:

Alle, die Veränderungen planen, sollten sich nicht nur Ausgangspunkt und Ergebnis vor Augen halten, sondern vor allem auch den Weg von A nach E. Die sensible Steuerung des Prozesses ist wesentlich für den Erfolg. 

Von Prozessen wird in späteren Beiträgen noch mehrmals die Rede sein.