Anlässlich des nahenden Internationalen Frauentags ein Thema speziell für Frauen. Frauen wird die Fähigkeit zum Multitasking zugeschrieben, was an sich eine Stärke ist. Im Berufsleben kann diese aber auch nach hinten losgehen.

Der Chef ist schwer erreichbar

Niemand gelangt unangemeldet an der Sekretärin vorbei in die Büros meiner Vorstandskollegen. Deren getäfelte Türen bleiben immer fest geschlossen – außer für die Sekretärin, die Besucher:innen anmeldet, zum Diktat hineingerufen wird, die Unterschriftenmappen vorlegt oder Kaffee serviert.

Termine bei den Herren sind schwer zu bekommen und werden dementsprechend wertvoll gehandelt. Will ein Abteilungsleiter mit einem meiner Vorstandskollegen sprechen, muss er sich bei der Sekretärin einen Termin geben lassen. Mitarbeiter:innen unterer Hierarchieebenen haben überhaupt keinen Zugang zur Vorstandsetage. Kommt der Termin zustande, wissen alle, dass die Zeit knapp ist. Das Anliegen ist ordentlich vorzubereiten und konzentriert vorzutragen.

Auch ich melde mich bei der Sekretärin an, wenn ich einen meiner Kollegen sprechen will, und sie machen es ihrerseits bei mir genauso. Einer lässt sich sogar von seiner Sekretärin zu meiner Sekretärin verbinden, wenn er per Haustelefon mit mir sprechen will. Das finde ich, gelinde gesagt, ein bisschen übertrieben. Ich betrachte es als einen Ausdruck von Wichtigtuerei und Machtgehabe.

Ich will als Führungskraft mehr Offenheit leben

Ich will meinen Mitarbeiter:innen im Unternehmensalltag so begegnen, wie es meinen demokratischen Grundsätzen und meinem Menschenbild entspricht: Jeder Mensch ist gleich viel wert, egal, welche Position er bekleidet, und daher sind es auch die Anliegen eines/einer jeden. Natürlich beachte ich die betriebliche Hierarchie und lasse mir fachlich nur von jenen berichten, die sich auf der nächsten Hierarchiestufe unter mir befinden. Aber abgesehen davon rede ich mit allen. Ich glaube an die Kraft demokratischer Verhältnisse und deren Symbolik und will die künstlichen hierarchischen Barrieren im Unternehmen zumindest da oder dort abbauen:

Bei einer der ersten Sitzungen mit den Abteilungsleitern verkünde ich, dass meine Tür immer, wenn ich keine Besprechungen habe, für alle offensteht, und jedermann nach kurzfristiger Anfrage mit jedem Anliegen zu mir kommen darf.

Die Vorstandskollegen staunen, die Sekretärin schüttelt kaum merkbar den Kopf.

Anfangs zögern die Mitarbeiter:innen, doch nachdem es die ersten gewagt haben, meine Schwelle zu überschreiten, herrscht in meinem Büro bald reges Kommen und Gehen. Die Leute schneien zu jeder Zeit herein und erzählen mir von ihren Erlebnissen und Schwierigkeiten mit Geschäftspartnern oder der Kundschaft, bald aber auch von privaten Problemen. Quasi en passant (weil ja die Tür gerade offen ist…) und ohne inhaltliche Vorbereitung deponiert eine Mitarbeiterin ihren Wunsch nach Versetzung in eine andere Abteilung und eine andere nach einer Gehaltserhöhung. Die Leute kommen um sich über Kolleginnen und Vorgesetzte der mittleren Ebene zu beschweren, und hoffen auf mein Eingreifen zu ihren Gunsten. So gelangt vieles zu mir, was ich eigentlich nicht wissen will, und was auch tatsächlich nicht auf die Führungsebene gehört.

Anfangs finde ich den Kommunikationsfluss amüsant und aufschlussreich, weil ich viel über die Firma, die Mitarbeiter:innen und die Kundschaft erfahre. Doch mit der Zeit sehe ich mich immer öfter mit Angelegenheiten konfrontiert, die mich eigentlich nichts angehen. Zudem kann ich auch nur noch selten ungestört arbeiten.

Eines Tages platzt jemand während der allgemeinen Mittagspause in mein Büro, während ich gerade meine Schinkensemmel esse und in der Zeitung blättere. Ach, Sie essen, sagt dieser Jemand, bleibt jedoch trotzdem mitten in meinem Büro stehen und beginnt sein Anliegen vorzutragen. Es bedarf meines ausdrücklichen Hinweises, dass ich – wie jeder andere – beim Essen nicht gestört werden will, und er bitte jetzt gehen und später wiederkommen möge.

Die offene Tür – ein machtpolitischer Fehler?

Spätestens nach diesem Vorfall schwant mir, dass meine Politik der offenen Tür mir nicht nur Störungen in meinem Arbeitsablauf einbringt. Sie ist auch ein machtpolitischer Fehler.

Ein „Termin“ bei mir ist leicht zu bekommen und daher längst nicht so viel wert wie einer bei meinen Kollegen. Darüber hinaus sorge ich quasi selbst dafür, dass meine Arbeit und auch meine Position weniger wichtig genommen werden als die meiner Kollegen, die ihre Verfügbarkeit knapphalten und die raren Termine, die sie gewähren, ordentlich zelebrieren. Wie anspruchsvoll kann hingegen eine Führungstätigkeit wie die meine schon sein, wenn sie neben dem Lesen eines halben Dutzends Mails, drei Telefonaten und ständigem Reagieren auf Besucher erledigt werden kann?

Sich rar machen, die eigene Wichtigkeit „zelebrieren“

Wieder erhalte ich einen guten Rat von meiner Frau Coach: Machen Sie es wie Ihre Vorstandskollegen, sagt sie. Ziehen Sie sich zumindest gelegentlich mit gewichtiger Miene in Ihr Büro zurück, schließen Sie die Tür, und lassen Sie die Sekretärin verkünden, dass die Chefin jetzt mal ein, zwei Stunden keinesfalls gestört werden darf, weder telefonisch noch persönlich. Sie werden sehen, wie das wirkt.

Ich will es meinen Kollegen nicht nachmachen und mein Büro verschließen, denn das wäre nicht nur eine Enttäuschung für die Belegschaft, sondern wohl, nach der anfänglichen Offenheit, auch ein Gesichtsverlust für mich. Also reduziere ich meine „Sprechstunden“ auf zwei halbe Vormittage in der Woche. Damit bin ich immer noch weitaus eher erreichbar als meine Vorstandskollegen, und das ist angesichts der Tatsache, dass ich aufgrund unserer Arbeitsteilung für das Personal verantwortlich bin, ganz in Ordnung.