„Man erwartet von mir, dass ich in die Arbeit kommen, auch wenn ich krank bin. Meine Kollegin haben sie während des Krankenstands gekündigt.“

„Immer war ich loyal, habe alles mitgetragen, und jetzt lässt man mich wegen eines kleinen Fehlers einfach fallen!“

„Ich habe mir Jahrzehnte lang für die Firma den Arsch aufgerissen, und jetzt schmeißen sie mich raus und ersetzen mich durch jemand Billigeren!“

Und so weiter.

Wie kann es sein, dass „unsere“ Firma, so mit uns umgeht?

Die Mentorin berichtet:

Verzweifelte Fragen dieser Art hören wir im Laufe unseres Berufslebens immer wieder. Wenn es uns auch nicht selbst widerfährt, dann bekommen wir dennoch, öfter als es uns lieb ist, Gelegenheit zu beobachten, wie „unmenschlich“ Firmen mitunter mit Mitarbeiter:innen umgehen. Entgegen all den schönen Worten, die Image-Abteilungen von Unternehmen in die Öffentlichkeit hinausposaunen, geht es in der Realität oft ziemlich hart zu – die Beratungsstellen von Gewerkschaften und anderen Interessenvertretungen können tagtäglich ein trauriges Lied davon singen. Es trifft nicht nur Arbeitnehmer:innen am unteren Ende der Hierarchie. Auch Führungskräfte sind nicht davor gefeit, „höheren“ Unternehmensinteressen geopfert zu werden, sobald es opportun erscheint.

Die meisten von uns wissen das im Grunde. Wir befinden uns schließlich auf einem Markt.

Wo bleibt die Loyalität?

Dennoch hoffen wir insgeheim, dass das Unternehmen, für das wir arbeiten, zu uns dieselbe Loyalität zeigt wie es sie von uns erwartet. Zumindest unbewusst gehen wir davon aus, dass das Unternehmen uns als ebenso zugehörig ansieht wie wir uns ihm – was nach jahrelanger Mitarbeit, etlichen Teambildungsseminaren und der ständigen Beschwörung der Corporate Identity auch kein Wunder ist. Und noch ein wenig unbewusster erwarten wir, dass sich das Unternehmen sich, insbesondere, wenn wir mal ein wenig Mist gebaut haben oder aber nicht mehr so leistungsfähig sind wie einst, wie eine Familie verhält und uns nicht verstößt.

Riesengroß sind Verletztheit und Enttäuschung, wenn man drastisch vor Augen geführt bekommt, dass es ganz anders ist. Kaum etwas ist so kränkend für Mitarbeiter:innen wie ein Konflikt, bei dem sich das Unternehmen plötzlich als das entpuppt, was es in Wirklichkeit ist: eine Firma und keine Familie.

Was ist eine Firma?

Ja, was ist eine Firma, eine Institution, ein Unternehmen?

Kurz gesagt sind Unternehmen und Institutionen Organisationseinheiten, die zu einem bestimmten wirtschaftlichen oder administrativen oder ideologischen Zwecken ins Leben gerufen werden, und unabhängig von den aktuell tätigen Personen existieren. Der Unternehmens- bzw. Institutionszwecks steht dabei über allem anderen, denn er ist der ausschließliche Grund, warum das Unternehmen bzw. die Institution existieren.

Betrachtet man das Verhalten solcher Organisationseinheiten aus der Perspektive dieses Daseinszwecks, dann erscheinen Vorgänge, wie wir sie tagtäglich mit Sorge und Kränkung beobachten, eigentlich ziemlich logisch. Dann sind beispielsweise Massenkündigungen kein inhumaner Akt, sondern bloß eine Maßnahme, die für die Aufrechterhaltung der Organisation und für das Verfolgen ihrer Ziele notwendig ist.

Warum ist eine Firma keine Familie?

Zu seiner Familie gehört man einfach. Man kann sich von einer Familie nicht lossagen oder trennen, und egal, wie sich die familiären Beziehungen im Detail gestalten. In den allermeisten Fällen kann man, wenn es hart auf hart geht, auf die Unterstützung und Solidarität der Familie zählen.

Mit einem Unternehmen ist man hingegen nur durch einen Vertrag verbunden. Das darin festgehaltene Tauschgeschäft lautet: Arbeit gegen Geld. Fällt die Vertragsgrundlage für eine der beiden Seiten weg, ist es auch mit der Bindung vorbei. Mitarbeiter:innen werden beschäftigt, um der Firma Gewinn zu bringen. Ist der erwartete Arbeitseinsatz nicht gegeben oder ist der Mitarbeiter aus anderen Gründen nicht mehr rentabel, dann trennt man sich. Punktum.

Handeln Unternehmen oder Führungskräfte “böse”?

Angesichts solcher Tatsachen mag es manchmal so aussehen, als seien Führungskräfte, die dies exekutieren, herzlose Roboter. Das manchmal brutal anmutende Verhalten von Unternehmen und ihrer Repräsentant:innen ist jedoch kaum jemals deren bösem Willen geschuldet, sondern vor allem der Logik des Systems. Im Regelfall geht es auch nicht gegen die Betroffenen persönlich, sondern “nur” um die Rolle, die sie im Unternehmen spielen. (Wobei dies in den Auswirkungen, beispielsweise im Fall einer Kündigung) natürlich wenig Unterschied macht.)

Zur Illustration sei noch einmal auf den vorigen Eintrag Bezug genommen, in dem das englische Königshaus als Beispiel bemüht wurde. Als es darum ging, Schaden von der Monarchie fernzuhalten, zögerte die Queen nicht, ihren Lieblingssohn Andrew seiner Ämter zu entheben, als seine Verstrickung in unappetittliche Machenschaften ruchbar wurde.

Führungskräfte und Entscheidungsträger:innen, die „unpopuläre“ Entscheidungen treffen, handeln nicht als die privaten Persönlichkeiten, die sie sind. Sie agieren in ihrer Rolle als Verantwortliche für das Unternehmen und müssen dessen Interessen Vorrang vor privaten Bedürfnissen und Empfindungen, auch ihrer eigenen, einräumen. Hat eine Führungskraft Mitgefühl oder moralische Bedenken, die sie daran hindern, Leute zu kündigen oder andere „harte“ Maßnahmen umzusetzen, dann erfüllt sie einer ihrer wesentlichen Funktionen im Unternehmen nicht und wird sich selbst nicht lange an ihrer Position halten können.

Ernüchternde Erkenntnisse?

Solche strukturellen Erkenntnisse, in aller Schärfe auf den Punkt gebracht, mögen vor allem für Mitarbeiter:innen oder Führungskräfte, die sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, ernüchternd klingen. Möglicherweise kratzen sich auch an deren Ego. Es ist ja tatsächlich nicht leicht, anzuerkennen, dass man, trotz aller Einsatzes und aller Loyalität nicht die Bedeutung für das Unternehmen hat, die man sich selber wünscht.

Die besondere Situation in Familienbetrieben

Einen Sonderfall bilden Familienunternehmen, in denen die Firma tatsächlich auch die Familie ist. Dort sind Vater oder Mutter nicht nur Eltern, sondern auch die Chefs und müssen zwischen den Notwendigkeiten des Unternehmens und den legitimen Erwartungen von Kindern nach Zeit, Aufmerksamkeit und Zuwendung jonglieren, was nicht immer gelingt. Die Abgrenzung ist oft schwierig, und Kinder erleben während ihres Aufwachsens immer wieder, dass die Interessen der Firma vor ihre eigenen gesetzt werden. Dann häuft sich im Laufe der Zeit jede Menge Groll an, der zu familiären Zerwürfnissen führt, wie wir sie in vielen berühmten Familienbetrieben beobachten können. Wie das Beispiel des englischen Königshauses zeigt (siehe voriger Eintrag), das sich ja sowohl als Familie als auch als Firma sieht, verlaufen die Konfliktlinien dann fast immer zwischen denen, die für den Familienbetrieb stehen und dafür auch persönliche Opfer erbringen, und den anderen, die vor allem ihr eigenes Lebensglück im Blick haben.

Soziale Organisationen

Schwierig ist es auch für Mitarbeiter:innen von missionsgebundenen Unternehmen im sozialen oder kulturellen Bereich, wo die gemeinsame Weltanschauung mitunter vergessen lässt, dass man sich nicht in einer zusammengehörigen Gruppe, sondern in einem Unternehmen befindet. Finden dort brutale Marktmechanismen Anwendung wie überall sonst, tut es umso mehr weh, weil die Vorgangsweisen der Vorgesetzten der Mission der Institution mitunter diametral entgegenstehen. Das ist tatsächlich ein oft schmerzhafter Widerspruch, doch auch in solchen Settings sollte man nicht vergessen, dass in unserem Wirtschaftssystem alle Organisationen, auch die karitativen und gemeinnützigen, den Gesetzen des Marktes unterworfen sind.

So sehr wir im Grunde darüber Bescheid wissen, wie unser Wirtschaftsleben strukturiert ist, so sehr sorgt dennoch im Berufsleben nichts so sehr für Enttäuschung, Kummer und Leid wie diese einfachen und klaren Tatsachen.

Wie schützt man sich?

Um sich vor Enttäuschungen und Kränkungen zu schützen, helfen vor allem realistische Erwartungen und die Fähigkeit, Dinge auseinanderzuhalten. Man soll sich stets dessen bewusst sein, dass man als Führungskraft oder als Mitarbeiter:in wohl das eine oder andere bewirken kann, jedoch im Großen und Ganzen nur ein kleines Rädchen im Getriebe bleibt und immer ersetzbar ist. (Nie wird eine solche Tatsache übrigens offensichtlicher als nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Hat man zuvor Jahrzehnte lang geglaubt, eine tragende Säule des Unternehmens zu sein, ohne die es nicht geht, wird man, kaum ist man in Pension, sehr rasch eines Besseren belehrt.)

Man soll sich weiters dessen bewusst sein, dass man sich einer Struktur befindet, die ihre eigenen Bestandsgesetze hat. Im Konfliktfall ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Struktur, also die Institution oder das Unternehmen, gewinnt. Das mag für einzelne Betroffene niederschmetternd sein, doch es hat im Sinne des Weiterbestandes von Strukturen durchaus seine guten Seiten. (Wir werden diese in einem der nächsten Eintrag noch näher erörtern.)

Glücklich sind all jene, denen es leichtfällt, einen klaren Blick auf die Verhältnisse zu behalten. Jeder Fußballtrainer, und auch so mancher Theaterdirektor, weiß schon bei Vertragsabschluss, dass er auf einem Schleudersitz anheuert, auf dem er nur verweilen kann, solange er mit seiner Mannschaft oder seinem Ensemble erfolgreich ist. Verliert das Team ein paar Spiele, bleibt das Theater eine Zeitlang halb leer, wird der Trainer/der Direktor gnadenlos gefeuert. „Das gehört zum Geschäft“, sagen die Betroffenen dann achselzuckend, auch wenn der Rauswurf des Trainers durch einen Verein geschieht, für den er einst als Spieler selbst mit Herzblut gekämpft hat.

Mir selbst ist es im Laufe meiner Karriere nicht immer gelungen, meine jeweiligen Arbeitsverhältnisse mit der Nüchternheit zu betrachten, für die ich in diesem Beitrag plädiere. Oft habe ich die „coolen“ Typen beneidet, die ihr Arbeitsverhältnis als ökonomischen Deal betrachten, keine tiefe Bindung zum Unternehmen aufbauen und illusionslos einschätzen, was von ihm zu erwarten ist und was nicht. Das sind die Leute, die in einer rauen Geschäftswelt ohne Burnout und ohne auszubluten Karriere machen.

Tipp der Mentorin:

Bringen Sie ihre Leistung, haben sie Freude an ihrem Tun, aber halten Sie dennoch gesunde Distanz zu ihrem Job. Verhandeln Sie professionell, nehmen Sie Niederlagen nicht persönlich, und haben Sie keine Skrupel, das Unternehmen augenblicklich für ein besseres Angebot zu verlassen – auch wenn es fürs Unternehmen gerade ein ungünstiger Zeitpunkt ist. Die Gesetze, die auf dem Markt, auf dem wir uns befinden, gelten, erlauben uns das allemal.