03.12.2022

Das Personalwesen: Häuptlinge und Indianer:innen

Wie “managt” man Menschen?

Der Bereich Personalwesen, auch „Personalmanagement“ genannt, ist bekanntlich einer der wichtigsten und herausforderndsten Aufgabenfelder der Unternehmensführung.

Der Begriff „Personalmanagement“ deutet genau wie der sich auch in die deutsche Geschäftssprache eingebürgerte Begriff Human Resources (HR) Management (ein Ausdruck für alles, was mit dem Einsatz von menschlicher Arbeitskraft in einem Unternehmen zusammenhängt) darauf hin, was Arbeitskräfte in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem für ein Unternehmen vor allem sind: eine Ressource zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen, im Idealfall möglichst genauso effizient und problemlos wie jeder andere Werkstoff.

Tatsächlich ist menschliche Arbeitsleistung ein Produktionsfaktor. Da aber die Arbeitsleistung untrennbar mit ihren Erbringer:innen verbunden ist, ist ihr Einsatz an andere Bedingungen geknüpft als etwa die Verwendung von Rohstoffen, von Finanzmitteln oder aber der Betrieb einer Maschine.

Es sind Menschen, mit denen in vielen Branchen der Erfolg von Unternehmen steht und fällt.

Die Mentorin berichtet:

Zahllose Fachbücher widmen sich dieser Frage. An den Betriebswirtschaftlichen Fakultäten gibt es eigene Studienzweige zum Personalmanagement. Wie immer, werde ich hier meine eigenen Erfahrungen beisteuern. In will von meinen Erlebnissen mit meinen Mitarbeiter:innen berichten, und von den Schlüssen, die ich über viele Jahre und in verschiedenen Kontexten aus meinen Wahrnehmungen gezogen habe.

Nachdem ich meine Stelle als neue Führungskraft angetreten bin, habe ich versucht, meine Mitarbeiter:innen so rasch wie möglich näher kennenzulernen (wie, erläutere ich im nächsten Eintrag). Ich wollte ihre Arbeitseinstellung, ihre Karriereorientierung und ihren Hang zur Führungsverantwortung erkunden. Der Gesamtbefund ist für mich wenig überraschend. Wie auch schon in früheren beruflichen Zusammenhängen findet sich unter der Belegschaft ein bunter Mix an Mentalitäten.

Routinearbeiter:innen versus dynamische Visionär:innen?

Der Großteil der Mitarbeiter:innen fällt nicht besonders auf. Sie kommen am Morgen, stempeln die Zeituhr, tun ihre Arbeit, machen Mittagspause und gehen pünktlich wieder heim. Sie erledigen verlässlich die ihnen übertragenen Aufgaben und verlassen sich dabei auf Routinen und vorgegebene Standards. Diese Menschen schätzen gleichbleibende Abläufe und Gewohnheiten, sind Veränderungen gegenüber skeptisch und empfinden es als Irritation, wenn sie mit ungewöhnlichen Fällen, die nicht ins Schema passen, konfrontiert werden. Selten kommt aus dieser Gruppe von Mitarbeiter:innen eine Initiative oder ein Vorschlag, und ihre Neigung, Führungsverantwortung zu übernehmen, hält sich in Grenzen.

Dieser großen Gruppe der Routinearbeiter:innen steht eine Handvoll Mitarbeiter:innen gegenüber, die ganz anders an ihren Job herangehen. Diese Mitarbeiter:innen stechen durch ihr Verhalten rasch aus der Masse hervor. Sie leisten viele Überstunden, machen sich auch in ihrer Freizeit Gedanken über ihre Arbeit und kommen laufend mit neuen Ideen und mit Optimierungsvorschlägen daher. Manche scheinen mit ihrem Job geradezu „verheiratet“ zu sein. Diese Leute sind, wie man so schön sagt, „intrinsisch“, also aus sich heraus motiviert, und brauchen weder Überwachung noch Kontrolle. Wenn Veränderungen im Raum stehen, freuen sie sich, denn sie sehen in jeder Veränderung eine Chance.

Mir persönlich sind solche Charaktäre sehr vertraut, denn in der Wissenschaft, wo ich früher gearbeitet habe, sowie in kreativen Branchen oder in Start-ups sind sie häufig anzutreffen. In diesen Bereichen machen sie in den Teams die Mehrheit aus, während sie in konventionellen Unternehmen wie jenem, in dem ich nun gelandet bin, eine kleine Minderheit bleiben.

Die beiden gegensätzlichen Mentalitätsmuster sind natürlich nicht nur Führungskräften bekannt. Man findet sie ja nicht nur in Belegschaften von Firmen, sondern überall, wo Menschen sind. Ich vermute – gestützt durch lebenslange Beobachtung – dass der Anteil der „dynamischen Visionär:innen“, wie ich die aktiveren Zeitgenoss:innen mal nennen will, in der Gesamtbevölkerung nicht mehr als 10, höchstens 15 Prozent ausmacht. In unserer Welt besteht ein deutlicher Überhang an Menschen, die es überschaubar mögen, ein gemächliches Tempo bevorzugen, vertraute Routinen ungern verlassen und lieber auf Bekanntes und Bewährtes setzen.

Wenig verwunderlich ist, dass die beiden Gruppen, wenn sie zusammenleben oder -arbeiten, einander oft in die Quere kommen. Nicht immer haben sie, gelinde gesagt, die reine Freude aneinander. Für Führungskräfte ist dies eine Herausforderung.

Häuptlinge und Indianer:innen

Es kann nicht nur Häuptlinge geben, wir brauchen auch Indianer:innen, sage ich augenzwinkernd zu den vor Ideen sprühenden Mitarbeiter:innen, wenn sie sich über Desinteresse, mangelnde Flexibilität, und Trägheit ihrer Kolleg:innen beschweren.

Gleichermaßen beruhige ich die beständigeren Zeitgenoss:innen, wenn es ihnen zu schnell geht mit den Ideen und Veränderungen, und verlangsame, oft gegen meinen eigenen Impuls, das Tempo. Über den Zaun brechen sollte man schließlich nichts, denn ohne die Langsameren und Vorsichtigeren geht es keinesfalls.

Eine Firma, die sich nicht gerade in einer kreativen Start-up-Phase, sondern in einer gut eingespielten Unternehmensroutine befindet, braucht somit unbedingt beide Typen von Mitarbeiter:innen – die einen, die vorwärts breschen, und die anderen, die für die Beständigkeit sorgen und dafür gelegentlich ein wenig auf der Bremse stehen.

Herzblut versus Karriereorientierung

Unter den dynamischen Mitarbeiter:innen gibt es solche, die grundsätzlich alle ihre Tätigkeiten mit Herzblut ausüben. Sie brennen für ihre Arbeit und für die Firma, während Gehalt und Stellung für sie zweitrangig sind. Andere hingegen verfolgen mit ihrem Einsatz vor allem ihre eigenen Interessen und haben stets ein waches Auge auf die Karriereleiter. (Die beiden Typen werden uns in späteren Einträgen noch näher beschäftigen.)

Vorerst sei festgehalten, dass die dynamischen Arbeitsbienen, welche Motivation sie auch immer treibt, im Allgemeinen ein Segen fürs Unternehmen sind. Als Führungskraft muss man allerdings bei den einen zuweilen dafür sorgen, dass sie nicht ausbrennen. Bei den anderen hingegen gilt es zu unterscheiden, ob die neuen Ideen, die sie einbringen, nur von Eigennutz getragen sind oder auch der Firma zugutekommen. Ist Letzteres der Fall, ist der Zustand optimal.

Visionär:innen sind “anstrengend”

In der durchschnittlichen Belegschaft sind Visionär:innen mit ihren ständig neuen Ideen und Vorstößen nicht immer beliebt. Sie werden als Ruhestörer:innen wahrgenommen, und man fragt sich immer wieder bange, was sie denn tatsächlich im Schilde führen.

Ich weiß, wovon ich rede, denn auch ich war lange eine dieser Sorte, die nie Ruhe gab. Immer, wenn ich meinen Job halbwegs beherrschte, suchte ich nach neuen Betätigungsfeldern oder Gestaltungsmöglichkeiten, habe Kolleg:innen und Chef:innen mit Ideen und Vorschlägen genervt und war meinerseits frustriert, wenn meine Umgebung meinen genialen Gedankengängen nicht sofort gefolgt ist und sich meinen Projektideen in den Weg gestellt hat. Hat man mir das berühmte „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“, oder das in seiner verhindernden Wirkung gleichwertige „Das-haben-wir-noch-nie-so-gemacht“ entgegengeworfen, wäre ich oft am liebsten an die Decke gesprungen. 

Ich habe meine Mitmenschen damals nicht verstanden, mit der Zeit jedoch erkannt, dass es nicht ihr böser Wille ist, der sie zum Beharren und Zögern veranlasst. Meine Dynamik und mein Tempo passten einfach nicht zu ihrer Mentalität, und mindestens so lästig, wie sie mir waren, war ich es ihnen. Nicht alle Menschen sind mit dem Übermaß an Phantasie gesegnet (oder: geschlagen) sind, das sie befähigt (oder: zwingt), ständig neue Visionen hervorzubringen. Heute habe ich Geduld und schätze den Teil der Menschheit, der auf Langsamkeit, Geduld und Bewahren setzt, sehr.

Alles hat seine Zeit

Im Übrigen – das sei ungeduldigen Visionär:innen ins Stammbuch geschrieben – hat alles seine Zeit. Eine Idee, die heute unverstanden bleibt, kann später, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt hervorgeholt wird, zum zündenden Funken werden. Ich habe dies insbesondere, als ich kurzzeitig im Bereich der Politikberatung tätig war, gründlich erfahren. Dort kam man oft nach längerem auf Ideen zurück, die zunächst scheinbar ignoriert worden waren. Sag mal, hattest du da nicht etwas…?  fragte der Chef dann nach Monaten, und ich musste nur noch meine Schublade öffnen.

Was leiste ich für das Unternehmen, was leistet das Unternehmen für mich?

Es gibt noch einen anderen Aspekt, der Mitarbeiter:innen voneinander unterscheidet. Gemäß dem berühmtem Ausspruch von John F. Kennedy, der meinte, man solle sich nicht fragen, was das Land für einen tue, sondern, was man selbst für das Land tun kann, findet man in jeder Belegschaft Mitarbeiter:innen, die von der Firma möglichst viel für sich erwarten, und stets versuchen, so viele Vorteile wie möglich für sich herauszuschlagen, während andere ständig bemüht sind, nur ja genug fürs Unternehmen zu leisten.

Sofern diese gegensätzlichen Haltungen nicht zum eigenen Schaden oder zum Nachteil der Firma übertrieben werden, sind sie meines Erachtens nach beide legitim.

Tipp der Mentorin:

Die Herausforderung für Führungskräfte besteht darin, den bunten Mix an Mitarbeiter:innen nach Fähigkeiten und Neigungen so einzusetzen, dass die Firma davon bestmöglich profitiert.

Einem Unternehmen geht es am besten, wenn die Interessen der Mitarbeiter:innen mit den Firmenzielen so weit wie möglich übereinstimmen. Eine wichtige Aufgabe von Führungskräften ist es daher, die individuellen Motivlagen zu erkennen und die Mitarbeiter:innen dementsprechend am richtigen Platz einzusetzen und mit den passenden Aufgaben zu betrauen. Man zieht visionäre und dynamische Mitarbeiter:innen heran, wenn es um innovative, fordernde, arbeitsaufwändige, interessante Sonderprojekte geht, während Routinearbeiten beim „bewahrenden“ Teil der Belegschaft gut aufgehoben sind.

Für Führungskräfte gilt es, zwischen dem Feuer der einen und dem zähen Fluss der anderen zu vermitteln und darzulegen, dass beide ihre Berechtigung haben. Im Idealfall bildet man Teams, in denen sich die Visionär:innen und die Bedenkenträger:innen produktiv ergänzen. 

Die Mentorin - 13:20:04 @ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter | Kommentar hinzufügen


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