29.10.2022

Und nun bin ich Führungskraft

Jede neue Führungskraft stellt sich Fragen. Wie schlüpft man in die Führungsrolle und wie verhält man sich darin? Was ist „Führung“ überhaupt? Was tut eine Führungskraft den ganzen Tag? Wo lernt man Führen?

Die Mentorin berichtet:

Zum Thema Führung gibt es wirklich viele Fragen und viel zu sagen. Zahlreiche Bücher ranken sich um diese Thematik, und es werden noch viele weitere geschrieben werden. Unzählige Seminare widmen sich allerlei Themen, die mit Führung zu tun haben. Aktuelle Angebote in Literatur und Seminarwesen befassen sich zunehmend mit humanistischen und spirituellen Aspekten von Führung. Es wäre vermessen, hier eine Auswahl zu treffen und der Leserschaft vorzuschlagen. Daher verweise ich pauschal auf den Fachbuchhandel bzw. aufs Internet, wo sich die Seminaranbieter:innen präsentieren. Oder man höre sich in der Szene um und setze auf Empfehlungen.

Ich werde wie immer von meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen berichten.

Neu als Führungskraft

Es ist nicht meine erste Führungsposition, aber die erste, in der es „nur“ um Führen und um Managen geht. In früheren Positionen, vorwiegend im wissenschaftlichen Umfeld, war ich zwar auch für kleinere oder größere Teams verantwortlich, habe aber noch selbst operativ mitgearbeitet. Nun ist anders. Nun bin ich in einer richtigen Chefetage angekommen.

Ein bisschen fühlt es sich so an wie einst, als ich anfing, an der Universität zu unterrichten. Damals kannte ich mich in meinem Fach sehr gut aus, verfügte jedoch über keinerlei pädagogisches Fachwissen und wusste wenig über zeitgemäße Vortragstechniken. Beides musste ich mir durch Learning-by-doing und durch gezielte Weiterbildung aneignen, während ich meine Lehrtätigkeit schon ausübte. Nun ist es ähnlich. Wieder muss ich etwas lernen, während ich es gleichzeitig schon praktiziere. Diesmal ist es das Führen.

Wo lernt man „Führen“?

Schonfrist gibt es keine. Ich werde ins kalte Wasser geworfen und muss sofort schwimmen. Während des Tages komme ich kaum zum Nachdenken, weil mich das Alltagsgeschäft voll in Anspruch nimmt. Erst abends komme ich dazu, zu reflektieren, was sich am Tag zugetragen hat, und mir Gedanken über das zu machen, was ich denn nun eigentlich so tue. Ich melde mich für ein paar Seminare zu Führungsthemen an. Und – das versteht sich fast von selbst – ich leiste mir, wie schon seit Jahren, regelmäßige Coachingstunden.

Vom operativen Tun zum Führen

Die wichtigste Lektion lerne ich ziemlich rasch: Mein Arbeitsschwerpunkt liegt nun nicht mehr im operativen Tun. Er hat sich voll und ganz auf die organisatorische Ebene verlagert. Habe ich früher selbst recherchiert, Konzepte erstellt, Texte verfasst und des Abends zufrieden auf mein, meist verschriftlichtes, Tageswerk zurückgeblickt, ist nun alles anders.

Was steht im Kalender einer Führungskraft?

Ich betrachte die Eintragungen in meinen Kalender. Es finden sich wöchentliche Besprechungstermine, sogenannte Jours Fixes, die dem Austausch dienen – mit Vorstandskollegen, mit Abteilungs- und Projektleiter:innen, mit Branchenvertreter:innen. Die Mitarbeiter:innen berichten über die Fortschritte der Projekte und holen von der Führungsriege Rückmeldungen ein. Das Führungsteam stellt die Weichen und bringt Korrekturen an. Die Mitarbeiter:innen wiederum bekommen von der Führungsebene Informationen aus der Branche und aus dem Marktgeschehen. Und so weiter.

Geschäftstermine im Kaffeehaus?

Viele Termine finden auswärts statt, nicht selten in Cafés oder Restaurants. Ja, arbeitet ihr denn auch irgendwann? hat mich mal ein englischer Geschäftspartner augenzwinkernd gefragt, dem geschäftliche Treffen in Kaffeehäusern fremd waren. Tatsächlich eignet sich kein Ort der Welt besser fürs Kennenlernen neuer Geschäftspartner:innen oder für das Anbahnen neuer Geschäfte besser als ein Wiener Kaffeehaus, das eine neutrale, unverbindliche und dennoch stilvolle und gediegene Atmosphäre bietet. Für mich persönlich beschränken sich auswärtige geschäftliche Treffen auf Cafés und Restaurants. Für manch andere Führungskräfte ist es, wie ich höre, üblich, auch am Golfplatz, in der Sauna, beim Segelturn oder an anderen vergnüglichen Orten über Geschäfte zu reden.

Pflege des beruflichen Netzwerks

Kaffeehaustermine, Geschäftsessen, oder Besuche von Jubiläumsfeiern anderer Firmen gehören zur Aufrechterhaltung des geschäftlichen Netzwerks des Unternehmens. Dessen Pflege ist nicht nur eine sympathische Tradition, sondern leistet, wie sich immer wieder zeigt, einen wichtigen Beitrag zur Produktivität der beteiligten Unternehmen. So vergnüglich, wie diese Treffen von außen aussehen mögen, sind sie jedoch meistens nicht. Ich kann mich vor lauter Konzentration auf das Geschäftliche oft schon am nächsten Tag nicht mehr erinnern, welches Gericht auf meinem Teller war.

Präsenz zeigen

Einige Zeit in meinem Kalender ist meinen Mitarbeiter:innen gewidmet. Da wir als Führungsteam viele Außentermine haben, ist es uns ausdrücklich ein Anliegen, auch in der Firma Präsenz zu zeigen. Wir tun dies auf unterschiedliche Weise. Einer meiner Kollegen geht täglich durch seine Abteilungen, begrüßt die anwesenden Leiter:innen mit Handschlag und wird so auch von jenen Mitarbeiter:innen wahrgenommen, die nicht an den regelmäßigen Führungssitzungen teilnehmen. Das gefällt mir sehr, doch ich will ihn nicht kopieren. Bei mir bekommen die Mitarbeiter:innen dafür viel leichter einen Besprechungstermin. Ich vergesse keinen Geburtstag und bin zur Stelle, wenn jemand ein persönliches Problem mit mir besprechen will. Ich nehme an Firmenfeiern teil und fahre sogar, obwohl mir Veranstaltungen dieser Art eigentlich widerstreben, beim jährlichen Betriebsausflug mit.

Manchem Mitarbeiter:innen mag es recht sein, die Führungskräfte so wenig wie möglich zu Gesicht zu bekommen. Dennoch ist es, so meine Erfahrung, immens wichtig, dass die Belegschaft die Präsenz der Führungsriege spürt. Ich werde darauf in einem späteren Eintrag noch ausführlicher zurückkommen. 

Präsenz zu zeigen gilt es auch gegenüber der Kundschaft. Auch wenn direkter Kundenkontakt durch Führungskräfte nicht allzu häufig stattfindet, ist es insbesondere in heiklen Fällen sehr wirksam, wenn die Chefin höchstpersönlich auf den Plan tritt. Allen Führungskräften, und so auch mir, ist es natürlich lieber, aufgebrachte Kunden zu meiden oder an Mitarbeiter:innen zu verweisen . Es zahlt sich jedoch gerade in konfliktären Situationen aus, selbst mit der Kundschaft in Kontakt zu treten, denn allein damit ist oft schon ein großer Schritt zur Regelung der Angelegenheit getan. 

Präsenz hat für Führungskräfte noch eine weitere Dimension, wenn auch nicht unbedingt eine physische. Während der Großteil der Belegschaft um 17 Dienstschluss hat, nach Hause geht, und im besten Fall bis zum nächsten Morgen keinen Gedanken mehr an die Firma verschwendet, bleibt eine Führungskraft zumindest gedanklich immer „im Dienst“, auch nach Feierabend, auch am Wochenende, meist auch im Urlaub.

Präsenz in der Öffentlichkeit

Es gibt in meinem Kalender Termine, die unter die Rubrik „Öffentlichkeitsarbeit“ fallen. Ich vertrete ich die Firma bei Veranstaltungen, bei Branchenzusammenkünften, bei fachlichen Symposien. Ich halte Vorträge oder sitze als Diskussionsteilnehmerin auf einem Podium. Beim eigenen Firmenfest spiele ich die charmante Gastgeberin, die die Ankommenden begrüßt, eine Rede hält und dann den ganzen Abend versucht, mit möglichst allen Anwesenden ein paar Worte zu wechseln. Bei all diesen Gelegenheiten trete ich nicht nur als Person in Erscheinung, sondern repräsentiere in meiner Rolle das ganze Unternehmen.

Führen bedeutet Kommunizieren

Führen bedeutet Kommunizieren, heißt es, und wenn ich mir meine Aufgaben vor Augen halte, wird deutlich, warum die Fähigkeit zur Kommunikation als Kernkompetenz von Führungskräften gilt. So viel geredet wie in meiner jetzigen Position habe ich in meinem beruflichen Leben noch nie: Verhandlungen mit Kund:innen oder mit dem Betriebsrat, Treffen mit Aufsichtsratsmitgliedern, dringliche Nachfragen bei Behörden, Besprechungen mit Geschäftspartner:innen, Bearbeiten interner Konflikte, Beratung und Aufmunterung einzelner Mitarbeiter:innen, und vieles mehr, und das Tag für Tag. Bei jedem Gespräch, bei jeder Verhandlung sind Präsenz und Konzentration gefordert. Kommunizieren ist auch für jene anstrengend, die es gerne tun, und wer es nicht mag oder kann, sollte von einer Führungsposition tatsächlich besser die Finger lassen.

Unangenehme Termine

Wie in jedem Kalender finden sich auch in meinem von Zeit zu Zeit Termine, bei denen von vornherein klar ist, dass sie unangenehm und belastend sein werden – etwa dann, wenn eine „unpopuläre“ Entscheidung verkündet werden muss. Manchmal trifft es die ganze Belegschaft, manchmal eine einzelne Person oder ein Team. Manchmal muss man jemandem kündigen, manchmal muss man eine langjährige Geschäftsbeziehung mit einem Auftragnehmer beenden. Ein Wegducken der Führungskraft ist in solchen Fällen eine schlechte Lösung, da sie – wenn oft auch nur unterschwellig – ihre Autorität in den Augen der Mitarbeiter:innen und/oder Geschäftspartner:innen untergräbt. Abgesehen davon trifft man sich in der Branche unter Umständen später einmal wieder. Führungskräfte sollten daher nicht feig, sondern in der Lage sein, unangenehme Botschaften zu überbringen, und zwar am besten so, dass die Würde aller Beteiligten gewahrt bleibt.

Ist Managen und Führen denn überhaupt „richtige Arbeit“?

Meine Tage sind prall gefüllt mit Aufgaben und Aktivitäten. Doch bei all dem Trubel frage ich mich: Was bringe ich tatsächlich zustande? Und ist das, was ich tue, denn überhaupt „richtige Arbeit“?
 
Von der Fachexpertin zur Führungskraft

Wie viele andere Führungskräfte bin ich eine Fachexpertin gewesen, und wie vielen Fachkräften fällt es mir nicht ganz leicht, mich aus dem operativen Tätigkeitsbereich zurückzuziehen und mich auf die Führungsaufgabe zu konzentrieren. In technischen oder juristischen Belangen, von denen ich wenig verstehe, ist es für mich kein Problem, doch in jenen Bereichen, in denen ich mich gut auskenne, tut es manchmal fast weh, nicht mehr selbst Hand anlegen zu dürfen. Wie gut verstehe ich nun die Professoren an der Universität, die sich, als sie sich plötzlich in einer Leitungsfunktion wiederfanden, bitterlich darüber beklagten, dass sie nun vor lauter Personalagenden und Bürokratie nicht mehr zu ihrer „richtigen“ Arbeit kämen.

Doch abgesehen davon, dass ich ohnehin keine Zeit mehr habe, mich überall „einzumischen“, weiß ich natürlich auch, dass die Fähigkeit zum Delegieren zu den wichtigsten Qualitäten einer Führungskraft gehört. Ich verordne mir also bewusst, die operativen Tätigkeiten meinen Mitarbeiter:innen zu überlassen. Ich zwinge mich zum Delegieren, denn am Rollenwechsel führt kein Weg vorbei.

Um mich selbst zu versichern, dass ich sehr wohl arbeite, halte ich mir einen durchschnittlichen Tag vor Augen: Beim Frühstück im Kaffeehaus habe ich mit Kollegen die Weichen für ein neues Projekt gestellt, das, wenn es realisiert wird, der Firma Millionen bringen könnte. Das Gespräch mit dem Betriebsrat am Nachmittag hat ein heikles Personalproblem gelöst, das lange geschwelt und das Betriebsklima beeinträchtigt hat. Die abendliche Versammlung war der Auftakt zu einer gemeinsamen Kampagne für eine Gesetzesänderung im Sinne unserer Branche. Und auch die Routinetätigkeiten waren wichtig für den Fortgang der Alltagsgeschäfte. Ich kann also beruhigt feststellen: Auch Managen und Führen ist „richtige Arbeit“.

Kann ich “es” denn überhaupt?

Manchmal bekomme ich ob der Verantwortung, die ich für die Firma und die Belegschaft übernommen habe, beinahe eine Gänsehaut. Die Summen, die in der Bilanz aufscheinen, sind schwindelerregend. Der Einfluss, den ich als Führungskraft auf das Arbeitsleben der Mitarbeiter:innen und auf ihre Karriereverläufe habe, lässt mich ehrfürchtig werden. Kann ich “es” denn überhaupt? Ich stelle mir diese Frage nicht allzu oft, doch wenn ich es tue, dann sage ich mir vor, dass immerhin ein Dutzend Menschen entschieden haben, mich an diese Stelle zu setzen, und dass die sich zweifellos etwas dabei gedacht haben. Was ich selbst tun kann, ist, Tag für Tag mein Bestes zu geben. 

Tipp der Mentorin:

Führung ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, die zahlreiche Dimensionen menschlicher und geschäftlicher Interaktion umfasst. Aufgrund der Gruppendynamik im eigenen Unternehmen sowie von Marktdynamiken und gesellschaftlichen Entwicklungen stehen Führungskräfte immer wieder vor neuen Herausforderungen. Jede Führungskraft tut gut daran, sich mit ihrer Rolle laufend und gründlich auseinanderzusetzen - und sich dabei eventuell die Unterstützung eines guten Coachs zu gönnen.

Die Mentorin - 18:58:54 @ Führungskraft sein | Kommentar hinzufügen


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