22.10.2022

Frau in einer Männerbranche

Als Frau in einer Männerbranche: Worauf muss ich mich gefasst machen?

Die Mentorin berichtet:

Die ersten 100 Tage in der neuen Position sind geprägt vom gegenseitigen Kennenlernen. Zuerst ging es um Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen in der Firma. Nach und nach kommen auch Kolleg:innen aus der Branche dazu. 

Gelegenheiten dafür, Branchenkolleg:innen zu treffen, ergeben sich viele, denn es finden regelmäßig Fachvorträge, Kulturveranstaltungen oder Jubiläumsfeiern statt. Es ist eine recht beständige Branche mit wenig personeller Fluktuation. Man kann also, gehört man einmal dazu, davon ausgehen, längere Zeit miteinander zu tun zu haben. Umso mehr ist man in der Branche neugierig auf mich. Nacheinander stellen sich die Kollegen vor. Ich vereinbare Treffen mit ihnen im Kaffeehaus oder im Restaurant, zum Kennenlernen und zum Gedankenaustausch.

Alleine unter Männern

In der Branche, in der mein Unternehmen angesiedelt ist, sind Frauen in Führungspositionen rar. Der Anteil weiblicher Beschäftigter beträgt zwar mehr als zwei Drittel, doch in Führungspositionen findet man sie sehr selten. Bei Veranstaltungen dominieren Männer in grauen Anzügen, und bei der jährlichen landesweiten Zusammenkunft erklären drei Tage lang Männer in Vorträgen oder von Podien aus die (Branchen)Welt, ohne weibliche Beteiligung. Manchmal ist sogar der Moderator ein Mann. Auch in den Gremien, wo wichtige Entscheidungen für die ganze Branche gefällt werden, sitzen ausschließlich Männer.

Ich habe immer schon mit Männern gearbeitet. Ich hatte Chefs, Kollegen, Mitarbeiter, Lehrlinge, Praktikanten und bin mit den meisten gut ausgekommen. Einer derartigen Männerphalanx wie jetzt bin ich allerdings bisher noch nie gegenübergestanden.

Die Anwesenheit von Frauen verunsichert Männer, die es lange Zeit gewohnt waren, unter sich zu sein, sagt Frau Coach. Ich spüre dass sie Recht hat. Selbst meine beiden Vorstandskollegen, aufgeschlossen und fast immer freundlich und zuvorkommend, scheinen manchmal nicht so genau zu wissen, wie sie mit mir umgehen sollen. Mit Sekretärinnen, Assistentinnen und anderen Untergebenen kennen sie sich aus. Mit weiblichen Vorgesetzten auch, wie sich an ihrem respektvollen Umgang mit den weiblichen Aufsichtsräten zeigt. Aber eine Frau auf derselben Ebene? Eine Kollegin? Wie soll man so jemanden behandeln?
Ich versuche, es ihnen nicht schwer zu machen, gebe mich großzügig und jovial und signalisiere: He, ich bin zwar eine Frau, aber hier bin ich vor allem eine Kollegin. Behandelt mich bitte wie euresgleichen. Sie nicken, doch dann reagiert einer indigniert, als ich vor ihm durch die Tür marschiere ohne ihm Gelegenheit zu geben, sie für mich aufzuhalten.
 
Lässt man(n) Frauen mitspielen?

Wie wohl jede Frau in einer Führungsposition erlebe ich immer wieder Situationen, die zwar nicht offen unangenehm, aber auch nicht entspannt sind. Zum Beispiel, wenn in geselligem Rahmen Männer in einer fest geschlossenen Runde stehen, und es einer Frau fast unmöglich machen, sich dazu zu stellen, oder, wenn sie es doch tut, das Männergespräch sofort peinlich erstummt. Oder wenn über Themen abseits des Geschäftlichen, beispielsweise über Fußball, gefachsimpelt wird. Dies kommt für die meisten Frauen einem Ausschlussmechanismus gleich. (Dass ich selbst als rarer weiblicher Fußballfan mit eingeworfenen fachkundigen Kommentaren stets das Überraschungsmoment und die Lacher auf meiner Seite habe, ändert an meiner Außenseiterrolle nichts.)

So gut wie immer dominieren die Männer die Gespräche und setzen die Themen. Das tun sie auch, wenn sie mit mir zu zweit am Tisch sitzen. Da wird über die Branche gesprochen, über die Wirtschaftslage im Land, über politische Ereignisse. Eventuell, wenn gerade Saison ist, fragte man einander höflich nach Urlaubsplänen. Die Männer reden auch gerne von sich und freuen sich über eine interessierte Zuhörerin. Es ist aber noch nie vorgekommen, dass sich einer der Gesprächspartner für meinen Werdegang oder für meine Meinung zu irgendeinem Thema interessiert hat. Am Ende solcher Treffen weiß zwar ich immer eine ganze Menge über die Männer, mit denen ich geredet habe – oder besser: die mit mir geredet haben. Sie umgekehrt wissen nichts über mich.

Dafür zücken sie, wenn es ums Zahlen geht, gerne ihre Kreditkarte. Da ich selbst eine Firmenkreditkarte besitze, mit der ich die Rechnung begleichen könnte, weiß ich, dass sie es nicht aus eigener Tasche bezahlen, sondern der Firma verrechnen. Trotzdem werden sie es mir nie erlauben, die Rechnung zu übernehmen, weder einzeln noch in einer Runde. Ich lasse sie – mit gemischten Gefühlen – gewähren, weil ich keine Lust habe, auch noch an dieser, vergleichsweise unwichtigen, Front zu kämpfen. Immerhin erspare ich so meiner Firma eine Menge Spesen.

Es gibt noch viele weitere Arten, Kolleginnen auf mehr oder weniger subtile Weise wissen zu lassen, dass sie „Fremdkörper“ im Gefüge sind, dass sie nicht ganz dazugehören, und so manche Männer verstehen sich vorzüglich darauf, derartige Signale auszusenden. So muss es sich am Spielplatz anfühlen, wenn die anderen Kinder einen nicht mitspielen lassen – oder nur widerwillig, weil auf Geheiß der Eltern.

Wie sollen wir Frauen uns verhalten? 

Wir könnten die männlichen Kollegen zur Rede stellen, ihnen ihr Verhalten vor Augen führen, ihnen Vorwürfe machen. Was würde dann geschehen? Sie würden verwundert die Braue hochziehen und fragen, wovon die Rede sei und uns zu verstehen geben, dass wir überempfindlich sind und uns alles nur einbilden. Sie würden sich indigniert wegdrehen und einander heimlich signalisieren: „Was für eine Zicke!“ Oder sie könnten scheinbar rationale Gründe für ihr Verhalten nennen, oder uns Recht geben und dennoch alles so belassen, wie es ist.

Ich habe all das schon erlebt, und daher beschließe ich, mein Verhältnis zu den Kollegen betont professionell zu halten. Ich werde darauf achten, dass sie in wichtigen Angelegenheiten nicht an mir vorbei agieren und erschließe mir dafür meine eigenen Informationsquellen. Ich falle freundlich ins Wort, wenn einer von ihnen anfängt, „Mainsplaining“ zu betreiben und mir, von oben herab, fachliche Grundlagen erklären will, von denen ich genauso viel oder mehr verstehe als er. Ich unterbreche, wenn der andere einen Redeschwall benutzt um mich aufs Glatteis zu führen, und wiederhole ruhig und freundlich, was Thema ist. Mit einem Wort: Ich bleibe auf der Hut.

Austausch mit anderen Chefinnen

Ganz anders verlaufen Treffen mit den wenigen Kolleginnen aus der Branche. Nicht nur, dass es selbstverständlich ist, abwechselnd die Rechnung zu begleichen. Die Themen, um die sich unsere Gespräche drehen, werden von allen eingebracht und sind breit gestreut. Privates hat neben Beruflichem einen ebenbürtigen Platz, und nach dem ersten geselligen Abend kennt jede von uns in groben Zügen den beruflichen Werdegang und die aktuelle Lebenssituation der jeweils anderen. (Ob diese Offenheit immer für die Karriere förderlich ist, kann ich nach all den Jahren immer noch nicht mit Sicherheit beantworten).

Gut an derartiger rascher „Vertraulichkeit“ ist, dass Branchenkolleginnen, sofern sie keine unmittelbaren Konkurrentinnen sind, die Verbündeten sein können, die man im eigenen Unternehmen nicht findet. Mit Mitarbeiter:innen sollte man Probleme, die man als Führungskraft hat, ja niemals besprechen (außer man bereitet sie im Rahmen von Mentoring auf eine Führungsrolle vor), mit männlichen Kollegen kann man es selten tun (siehe oben). Hingegen kann ich mit weiblichen Führungskräften aus anderen Unternehmen alles, was mich und meine berufliche Rolle betrifft, auf Augenhöhe besprechen.

Frauen meiner Generation sind in punkto Führungspositionen Pionierinnen. Wir alle sind im Laufe unserer Karriere auf Hindernisse gestoßen, haben ähnliche Erfahrungen gemacht, und können einander im Austausch wertvolle Anregungen und Tipps geben. Wir vermitteln einander die Gewissheit, mit unseren Sorgen und kleinen Niederlagen nicht allein auf weiter Flur zu sein. Wir erkennen, dass nicht eigene Unzulänglichkeit die Probleme schafft, sondern diese vielmehr oft struktureller Natur sind und überall in ähnlicher Weise auftreten. Unsere Erfahrungen sind zwar individuell, aber mitnichten einzigartig. Mir kommt der Slogan der Frauenbewegung in meiner Jugend in den Sinn, der da lautete: Alles Private ist politisch. Damals war die Hausarbeit gemeint, die Frauen an der politischen Teilhabe hinderte. Heute sind wir schon weiter und reden immerhin über die Alltagsprobleme von Frauen in gehobenen beruflichen Positionen.

Freuden und Anstrengungen des Lebens einer „Karrierefrau”

Der Austausch mit anderen Frauen wirkt oft auch auf einer ganz banalen Ebene beruhigend und tröstlich. So beispielsweise, wenn wir erfahren, dass unsere eigene suboptimale Alltagsorganisation keine Ausnahme ist. Auch die Kolleginnen haben manchmal wochenlang keine Zeit um ihren Geschirrspüler reparieren zu lassen, nehmen ihren Coffee-to-go am Weg zur Arbeit, weil daheim die Kapseln für die Kaffeemaschine ausgegangen sind, und verschieben das Abholen der Kleider aus der Reinigung von einem Tag zum anderen, weil sie nie vor Ladenschluss aus dem Büro kommen. Auch Kolleginnen sitzen auf Dienstreisen abends mit einer Bierdose vor dem Fernseher im Hotelzimmer, nachdem sie auf der Konferenz brilliert haben, nun jedoch weder in der fremden Stadt alleine ausgehen noch sich zwischen die Männer an die Hotelbar setzen wollen. Jede von uns kennt es, gegen das Ende der Woche oft nur noch müde zu sein und die freie Zeit fast ausschließlich dafür zu benötigen, sich wieder fit für die Arbeit zu machen.

Aber nicht nur über Probleme können wir miteinander reden. Wir halten uns auch gegenseitig unsere Erfolge immer wieder vor Augen, die wir vor lauter Kämpfen gegen die Alltagswidrigkeiten nur allzu leicht vergessen.

Gleich und gleich gesellt sich gern

Auf jeden Fall freue ich mich, als ich bei der ersten großen Branchenveranstaltung, an der ich teilnehme, auf einige Kolleginnen treffe, dich ich bereits kennengelernt habe. Wahrscheinlich geht es mir als Frau nicht anders als Männern schon seit jeher: der Mensch fühlt sich unter seinesgleichen einfach ein kleines bisschen wohler als unter Fremden. Wieder einmal stellen wir fest, dass Frauen auf den Podien stark unterrepräsentiert sind und tun, bevor wir die Veranstaltung unter Protest verlassen, gegenüber der Branchenvertretung unseren Unmut darüber kund.

Ins Strandcafé, in das wir uns zurückziehen, überlegen wir, der dominanten Männerrunde einen Streich zu spielen. Jede von uns könnte die Frauenkarte zücken und sich selbst in die Gremien hinein reklamieren. In Zeiten der politischen Korrektheit könnte man uns im Sinne der Frauenquote einen oder mehrere der heißbegehrten Sitze wohl kaum verwehren. Wir erörtern die Sache, haben unseren Spaß an der Vorstellung, doch dann findet sich unter uns keine, die bereit ist, als „Vorhut“ in die Männerphalanx einzudringen. Ich will es mir auch nicht antun. Sind wir also “selber schuld”? Ja und nein, sage ich mal an dieser Stelle und werde in einem späteren Eintrag noch auf die Thematik zurückkommen. Wir werden jedenfalls dranbleiben und dann diejenige, die es eines Tages auf sich nimmt, die Gremien aufzumischen, nach Kräften unterstützen.

Tipp der Mentorin:
Zu diesem Thema ist es mit einem einzigen Tipp natürlich nicht getan. Als sehr wichtig erscheint mir, sich vom Spannungsverhältnis, das zwischen den Geschlechtern natürlich auch auf beruflicher Ebene herrscht, nicht verunsichern zu lassen, und etwaiges Unbehagen niemals eigener Unzulänglichkeit zuzuschreiben. Es ist sinnvoll, aufmerksam zu bleiben. Und auf der Hut.

Vielleicht ist aber bald eine neue Generation am Werk, in der sich viele dieser Probleme nicht mehr stellen. Wir wollen es hoffen! 

Die Mentorin - 20:27:26 @ Die ersten hundert Tage im neuen Unternehmen | Kommentar hinzufügen


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